Mittwoch, 12. Dezember 2012

Von Beutelratten und der Knubbelinvasion




Heute Morgen in der U8. Da war sie wieder. Die Invasion der Knubbels.
Gott, ich neige ja manchmal wirklich zur Übertreibung – aber heute Morgen waren die Knubbels ÜBERALL! Schwöööööör!
Rechts, links, mir gegenüber, vorne, hinten, an der Decke!
Wahrscheinlich hatte selbst die Fahrerin des Zuges diesen beschissenen Knödel auf dem Kopf. Dieses zusammengezuppelte, zerkneulte Vogelnest am oberen Hinterkopf, wie ihn zuletzt Tante Prysselius in den Pippi-Langstrumpf-Verfilmungen Ende der 60er Jahre trug. Auf uncool sagt man dazu auch einfach „Dutt“. Er symbolisiert einen der absoluten „Höhepunkte“ eines modernen Massenphänomens: Der Hipster.
(Oder auch „Die Hipsterin“, Ihr scheiß Emanzen!)

Der beknackte Hipsterlook ist salonfähig geworden. In ganz Berlin kann man wahnsinnig wichtige Egozentriker aus Wald-Michelbach oder Bietigheim-Bissingen nicht mehr von Spacken aus Reinickendorf unterscheiden. Typen, die wir früher in der Schule auf Grund ihres Äußeren verprügelt hätten.

Ja, der Hipsterlook.
Dazu zählt natürlich die obligatorische Nerdbrille, die nicht umsonst NERDBRILLE heißt, Alter!
Was am Anfang dieser Modewelle noch paradoxerweise als elitärer Ausdruck von Intellekt gelten sollte („Schaut her, ich sehe aus wie ein stupider Blindgänger, bin aber eigentlich Jurist mit iPhone und Promotion; ist das nicht voll ironisch und so?“), trägt mittlerweile jeder zweite Kleindealer in Neukölln.
Ich finde ja, so richtig cool wäre so eine Brille erst dann, wenn man sich ein weißes Pflaster auf’s Auge kleben würde, so wie Jens-Uwe damals in der zweiten Klasse. Aber das traut sich wieder keiner…

Dazu gehören natürlich auch die engen Hosen. Sogenannte „Skinny Jeans“. Dank diesen weiß nun endlich jeder Mann, wie kurz und stämmig Frauenbeine sein können. Frauen hingegen mussten nun schmerzhaft erfahren: Da, wo beim schlechteren Geschlecht noch lange über die 90er Jahre hinaus windelgleiche Baggypants um die Kniekehlen schlackerten, ist in Wirklichkeit nichts. Zwei dürre Streichholzbeinchen, zwischen denen der Wind ungehindert hindurch sausen kann – mehr hat der männliche Prenzlberger in seiner Skinny Jeans wadentechnisch nicht zu bieten.

Und dazu gehört der verschissenste Hype seit den Buffalos (= die Ausgeburt des Teufels der 90er):
Der blöde Jutebeutel. 
Wenn Ommis damit einkaufen gehen (natürlich mit dieser umweltfreundlichen Kröte-küsst-Schildkröte-im-Regenbogenkreis-Aufdruck-Version), weiß man heute nicht mehr, ob der Beutel zweckdienlich sein soll oder ob Omma Gertrud auf ihre alten Tage auch noch mal hip sein will.

Ja, ich weiß, sich über Hipster aufzuregen ist mittlerweile auch schon wieder out. Aber gestern war MONTAG, das muss ich jetzt wieder den ganzen Rest der Woche verdauen. Habt Nachsicht! Ich war noch nie sonderlich up to date, hatte nie Ahnung vom state of the art oder was aktuelle must-dos, must-haves oder Trends concernt... Äh, betrifft.

Aber das Schlimmste an der Hipsterkluft ist ja letztlich auch nicht diese selbst – sondern dass jeder Horst sie mittlerweile trägt. Es gibt den Punk-Hipster, den oben erwähnten Kleindealer-Hipster, den Hip-Hop-Hipster, die Blümchenbio-Hipsterin, den Emo-Hipster, den Penner-Hipster, den Skater-Hipster, den Hipster-Hipster, die Mandy-Hipsterin, den BWL-Hipster…
Und ich warte noch immer auf den ersten Tagesthemen-Hipster und die erste Hipster-Kanzlerin. Tom Buhrow mit Oberlippenschnorres (auf hip heißt das „Mustache“) und Angela Merkel mit ausrasiertem Seitenhaar (auf hip heißt das „Undercut“). Und alle so: Yeah!

Alle haben das Gleiche an. Das hatten wir doch schon mal…

Und wenn ich so in den Spiegel sehe: mit den Jahren sind die Hosen jetzt doch etwas enger geworden (was nicht nur an meiner Gefräßigkeit und meinem fortgeschrittenem Alter liegt). Und der rote Lippenstift. Und die schmalen braunen Schuhe. Und die Brosche meiner Oma, die ich täglich auf Brusthöhe trage (auf hip heißt das „vintage“). Und mein Game Boy und mein Walkman liegen hier auch noch irgendwo rum. Und überall diese Club-Mate-Flaschen. Und dieser Altbau mit Stuck. Und am Sonntag war ich auf dem Flohmarkt! Tatsache.

Und heiliger Strohsack: Ich blogge! Zwar ohne Apple und Chai Latte - aber ich blogge!

Ach Selbstmitleid. Da hat mich doch tatsächlich ein Klischee eingeholt. Nein, Ihr werdet jetzt nicht von mir hören „Ich bin anders“. „Ich bin voll individuell und so.“ „Ich bin kein Hipster.“
Sind wir nicht alle ein wenig Hipster? Und sind wir nicht alle immer noch Jens-Uwe aus der zweiten Klasse? Als hip getarnte Spasten? Als spastisch getarnte Hipster? Und wieso klingt das eigentlich so ähnlich wie Hitler?

Egal, ich lasse mir jetzt eine feste Zahnspange einsetzen, kaufe mir einen Scout-Ranzen, hänge mir einen Brustbeutel mit meiner VBB-Umweltkarte um den Hals und lege mich zu Jens-Uwe ins Bett. Gute Nacht.

Und kann diesen Frauen jetzt endlich mal jemand sagen, dass dieser Meisenknödel auf dem Kopf einfach SCHEIßE aussieht? Danke!

4 Kommentare:

  1. Es ist überhaupt nicht out, Hipsterspacken verbal zu filetieren. Es ist eine Pflicht. Nach wie vor. Well done, Emily.

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  2. Der Dutt strahlt eine gewisse Strenge aus, der ich bei entsprechend hübschem Gesicht sehr viel abgewinnen kann ;)

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  3. @retrodesignfan: Schlag mich einfach. Ich bin auch nett :-)
    Gruß - dada

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  4. Die Hipster-Welle ist nicht vorbei, die geht jetzt erst richtig los. Nach dem Beutel kommt die Jurte.

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